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Gemeinsam gegen KI
Teil I
Nahversorgung geht auch ohne Tegut
von Peter Kolakowski
Sonntagsallianz 22.02.24 — Die Möglichkeit, sich mit Waren und Dienstleistungen zu versorgen, geht in vielen ländlichen Regionen stetig zurück. Lebensmittelgeschäfte und Postämter schließen, Ärzte wandern ab, die Mobiltät der Bürger wird durch stillgelegte Fahrstrecken des öffentlichen Nahverkehrs oder stark ausgedünnte Taktzeiten behindert. Unzählige kleine Ortschaften, vor allem im Osten Deutschlands werden nur noch durch mobile Händler versorgt. Oft wird versucht die Versorgungslücken durch sogenannte personallose Läden abzudecken, wie es derzeit die Firma Tegut praktiziert. Diese verstoßen allerdings gegen den gesetzlichen Sonn- und Feiertagsschutz. Eine Alternative könnten Genossenschaften sein
Engagierte Bürger reagieren auf diese Entwicklung mit der Gründung einer Seniorengenossenschaft. In der Bundesrepublik finden sich in ländlichen Regionen sowohl Genossenschaften, die von Bürgern selbst ins Leben gerufen wurden als auch von staatlicher oder kommunaler Seite initiierte Projekte. Denn auch die Politik ist sich der der zunehmenden Ausdünnung ländlicher Infrastruktur bei gleichzeitig wachsender Zahl (pflegebedürftiger) Älterer, und der auf kommunaler Seite notwendigen Kürzungen sozialer Angeboten infolge steigender Schulden sehr wohl bewusst. Und muss, zumindest partiell, Lösungen anbieten, wie z.B. die Verbesserung von Lebensumständen und die Stärkung von Eigenverantwortung durch gezielte Förderung bürgerschaftlich-solidarischer Hilfe. So formulierte die Bundesregierung bereits 1986 als Leitlinie im vierten Familienbericht: Die altenpolitischen Maßnahmen zielen darauf ab, „die geistigen und sozialen Interessen der älteren Menschen zu entwickeln, zu fördern und zu erhalten. Sie dienen darüber hinaus dazu, den Erfahrungsvorsprung der älteren Menschen für die Gesellschaft zu nutzen und zu verhindern, dass diese sich selbst isolierend zurückziehen. Dabei müssen neue Ansätze gefunden werden. Wichtig ist, dass sich die verschiedenen Generationen bei ihren Aktivitäten nicht voneinander isolieren, sondern integrieren.“ Die öffentliche Hand versteht sich dabei vorrangig als Impulsgeber, der nur während der Aufbau- und Anlaufphase logistische und finanzielle Unterstützung gewährt, während die Folgeaufwendungen von den Genossenschaftsmitgliedern getragen werden.
Weiche Kriterien erlauben Öffnung für alle Bürger
Oft entsprechen die Angebote nicht immer den Regeln einer klassischen, eingetragenen Genossenschaft, für deren Mitgliedschaft Anteile erworben werden müssen. Häufig soll auch die mitunter sehr langwierige Registrierung und der Bürokratismus einer „echten“ Genossenschaft bewusst vermieden werden. Stattdessen wird die Rechtsform eines eingetragenen Vereins gewählt, der im übrigen ebenfalls Gemeinnützigkeit und Freiwilligkeit zum Ziel hat. Die Teilnahme in einer Seniorengenossenschaften besteht vorrangig darin, An-Teil zu nehmen an den Lebensumständen anderer, als Währung Zeit zu investieren und als Gewinn eine bessere Lebensqualität durch gemeinschaftliche Ziele zu erhalten. Gleichwohl bedarf es auch hier finanzieller Gebühren, Einlagen und Anreize, damit bspw. Fuhrparks, Begegnungsstätten Freizeitaktivitäten, professionelle Personal bezahlt oder über die gesetzlichen Sicherungssysteme hinaus für die Mitglieder eine freiwillige zusätzliche Altersversorgung aufgebaut werden kann.
Seniorengenossenschaften sind keine „Altenprojekte“
Dabei richten diese Genossenschaften ihre Arbeit aus gutem Grund nicht nur für die oder an den Alten aus. Sie erweitern ganz bewusst die Grenzen traditioneller Altenarbeit, verstehen ihre Tätigkeit vielmehr als generationenübergreifende Sozialarbeit, die sich an alle „alternden“ Menschen richtet. Ziel ist, gemeinsam den infrastrukturell, gesellschaftlich oder individuell bedingten Nachteilen des Älterwerdens wie mangelnde Mobilität, Einsamkeit oder Hilfsbedürftigkeit entgegenzuwirken.. Gleichzeitig kommen die Genossenschaften dem Wertewandel einer wachsenden Zahl von Menschen gleich welchen Alters entgegen, sich bürgerschaftlich zu engagieren und für andere aber auch für die eigene Daseinsvorsorge soziale und wirtschaftliche Zustände auf lokaler Ebene in eigener Verantwortung positiv zu beeinflussen — der eigentliche Urgedanke des Genossenschaftswesens. Gerade für Senioren hat dies den Vorteil, von fremdbestimmten Hilfeleistungen unabhängiger zu werden (Einweisung ins Heim durch zunehmende Pflegebedürftigkeit) und im Rahmen der genossenschaftlichen Hilfsangebote weiter in vertrauter Umgebung weitestgehend selbstbestimmt zu leben. Hinzu kommt die Aktivierungsfunktion der Genossenschaft: Menschen, denen die Möglichkeit gegeben wird, ihr Lebenswissen und am Arbeitsmarkt nicht mehr nachgefragten Kompetenzen einzubringen, verfallen nicht in Resignation, Einsamkeit und Passivität.
Vielfältige Angebote
Die in Deutschland tätigen Seniorengenossenschaften in ländlichen Regionen widmen sich dabei keineswegs einheitlichen, sondern vielgestaltigen Aktivitäten und Arbeitsfeldern: Vom Management eines von der Schließung bedrohten „Tante-Emma-Ladens“, der Schaffung seniorengerechter Wohnmöglichkeiten, über die temporäre Betreuung Pflegebedürftiger zu Hause und der Beratung (z.B. in Versicherungsfragen), der Organisation von Fahr‑, Einkaufs‑, Essens –und Hausmeisterdiensten bis hin zur Gestaltung gemeinschaftlicher Freizeitaktivitäten. Gerade dieser weitgefasste Aufgabenbereich bietet die unvergleichliche Möglichkeit, für die individuellen Lebensumstände der Mitglieder und lokalen Gegebenheiten passgenaue Lösungen zu konzipieren — auch für den täglichen Konsum!
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