Sonntags-Impuls Mai

von André Scheer, ver.di Handel

Mit dem Sonntag gegen Tarifflucht

Mit ersten Kund­ge­bungen und Aktionen vor den regio­nalen Arbeit­ge­ber­ver­bänden und Streiks beim Online-Giganten Amazon haben Ende April und Anfang Mai die Tarif­ver­hand­lungen im Handel begonnen. Die Gewerk­schaft ver.di fordert 4,5 Prozent plus 45,- Euro mehr Lohn für die Kolle­ginnen und Kollegen im Einzel- und Versand­handel, kein Stun­den­lohn soll künftig unter 12,50 Euro liegen dürfen. Und die Unter­nehmer werden aufge­for­dert, gemeinsam mit ver.di die Allge­mein­ver­bind­lich­keit der Tarif­ver­träge zu beantragen.

Durch eine Allge­mein­ver­bind­lich­keits­er­klä­rung (AVE) würden die ausge­han­delten Tarif­ver­träge für alle Unter­nehmen einer Branche gelten – auch in solchen Betrieben, die nicht tarif­ge­bunden sind (und auch für Beschäf­tigte, die nicht der Gewerk­schaft ange­hören). Die entspre­chende Erklä­rung kann das zustän­dige Arbeits­mi­nis­te­rium abgeben – aber nur, wenn die AVE von beiden Tarif­par­teien gemeinsam bean­tragt wird. Die Arbeit­ge­ber­ver­bände verwei­gern das. ver.di verlangt deshalb eine Geset­zes­än­de­rung, damit künftig auch die Gewerk­schaft alleine die AVE bean­tragen kann.

Mit ihrer Verwei­ge­rungs­hal­tung heizen der Handels­ver­band Deutsch­land (HDE) und der Bundes­ver­band Groß­handel, Außen­handel, Dienst­leis­tungen (BGA) den seit Jahren laufenden Verdrän­gungs- und Vernich­tungs­wett­be­werb in der Branche weiter an. Nur noch weniger als ein Drittel der Beschäf­tigten genießt den Schutz eines Tarif­ver­trags – und diese Tarif­flucht wird von den Arbeit­ge­ber­ver­bänden beför­dert. Sie erlauben den Unter­neh­mern eine Mitglied­schaft „ohne Tarif­bin­dung“ (oT). Durch diese kommen die Konzerne in den Genuss aller Vorteile einer Mitglied­schaft im Verband, ohne aber die in Tarif­ver­trägen akzep­tierten Arbeits­be­din­gungen und Entloh­nung zu akzeptieren.

Ein solches „oT-Mitglied“ des HDE ist Amazon. Der Konzern, der zu den großen Gewin­nern der Pandemie gehört, weigert sich nach wie vor, mit der Gewerk­schaft über einen Tarif­ver­trag zu verhan­deln. Statt­dessen versucht man, die Arbeits­be­din­gungen und Einkommen nach Guts­her­ren­ma­nier zu diktieren. Dagegen wehren sich die Beschäf­tigten immer wieder mit Streiks, oft genug müssen die Ausein­an­der­set­zungen aber auch vor Gericht geführt werden.

Ende Januar entschied das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt nach einer Klage von ver.di, dass das Verbot von Sonn­tags­ar­beit auch für Amazon gilt. Der Konzern hatte 2015 bei den zustän­digen Behörden eine Ausnah­me­ge­neh­mi­gung für den Einsatz von jeweils 800 Beschäf­tigten an zwei Advents­sonn­tagen im Logis­tik­zen­trum Rhein­berg bean­tragt. Amazon behaup­tete, dass ohne Sonn­tags­ar­beit „unver­hält­nis­mä­ßiger Schaden“ entstehe, weil die Liefer­ver­spre­chen an die Kundinnen und Kunden nicht einge­halten werden könnten. „Selbst schuld“, so die Richter – niemand zwinge Amazon dazu, die Liefe­rung am nächsten Tag zu versprechen.

Die Handels­un­ter­nehmen hindert das nicht daran, immer wieder die Öffnung von Geschäften an Sonn- und Feier­tagen zu fordern. Gerne wird dabei auf Amazon verwiesen, wo man ja auch am Sonntag bestellen könne.

Spätes­tens seit dem Urteil des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts sollte jedoch klar sein, dass diese Behaup­tung nicht zieht. Auch bei Amazon ruhen die Bänder am Sonntag, Bestel­lungen werden frühes­tens in der Nacht zum Montag bear­beitet. Wenn sich aber die Lobby­isten von HDE und BGA durch­setzen würden, wäre auch das Verbot der Sonn­tags­ar­beit bei Amazon kaum zu halten, die Domi­nanz des Online­han­dels würde noch weiter zunehmen. Es ist absehbar: Auf der Strecke blieben dann gerade die kleinen Einzel­händler, die von den Arbeit­ge­ber­ver­bänden so gerne vorge­schoben werden.

Deshalb haben die laufenden Tarif­runden im Einzel- und Versand­handel sowie im Groß- und Außen­handel auch für den freien Sonntag eine beson­dere Bedeu­tung. Es geht darum, die Ausbeu­tung der Beschäf­tigten zumin­dest einzu­schränken. Durch allge­mein­ver­bind­liche Tarif­ver­träge können wir auch Amazon Lohn­dum­ping beenden und faire Arbeits­be­din­gungen durch­setzen. Auch am Sonntag.

In regel­mä­ßigen Abständen finden Sie hier unsere Sonntags-Impulse

 

Weitere Beiträge und Nachrichten

 

Anlasslos am Sonntag shoppen

Die säch­si­sche AfD-Frak­­tion wollte dem Anlass­bezug für Sonn­tags­öff­nungen einen Riegel vorschieben — und ist gescheitert.

Sonntags-Impuls September / Oktober

Unser aktu­eller Sonn­tag­s­im­puls kurz vor der Bundestagswahl

Offener Brief an die Kanzerkandidat*innen

Wir wenden uns vor der Bundes­tags­wahl in einem offenen Brief an die Kanz­ler­kan­di­datin und Kanz­ler­kan­di­daten von CDU/CSU, SPD und Grünen mit der Auffor­de­rung, sich für die Bewah­rung des grund­ge­setz­lich garan­tierten Schutzes des arbeits­freien Sonn­tags einzusetzen.

Sonntags-Impuls Juli/ August

Schon aber stehen die Feinde des Sonn­tags auf der Matte und nützen jede neue Chance, um die Geister zu verwirren. Deshalb wird die Sonn­tags­al­lianz sich weiter verstärken durch regio­nale Bünd­nisse, durch Aktionen und Kampa­gnen – gerade jetzt im Vorlauf zur Wahl des Bundes­tags im September.

Diskussion um Sonntagsöffnungen auf Twitter

Kaum Zustim­mung, viele Argu­mente dagegen — lesen Sie hier die Reak­tionen auf Twitter zur Forde­rung nach mehr Sonntagsöffnungen

Betriebsseelsorge der Diözese Augsburg startet Podcastreihe zum Thema Sonntag

Mit scharfer Miss­bil­li­gung und Unver­ständnis reagiert der Bundes­präses der Katho­li­schen Arbeit­neh­mer­be­we­gung Deutsch­lands (KAB), Stefan Eirich, auf den Vorstoß des Arbei­t­­ge­­ber­einzel-handels­­ver­­­bands HDE.

Beitrag im Deutschlandfunk: Kulturgut Innenstadt — Wie kommt wieder Leben in die City?

Zum Thema/Bildunterschrift Im Deutsch­land­funk wird des Öfteren zu Themen rund um Stadt­ent­wick­lung gesendet. Wir empfehlen diesen Sender aus diesem Grunde, da so die kontro­vers geführte Diskus­sion um Sonn­tags­öff­nungen im Rahmen attrak­tiver Stadt­ent­wick­lung eingeordnet…

KAB: Bessere Bezahlung statt mehr Arbeit am Sonntag

Mit scharfer Miss­bil­li­gung und Unver­ständnis reagiert der Bundes­präses der Katho­li­schen Arbeit­neh­mer­be­we­gung Deutsch­lands (KAB), Stefan Eirich, auf den Vorstoß des Arbei­t­­ge­­ber­einzel-handels­­ver­­­bands HDE.

Walter-Borjans: Wochenend-Arbeit einschränken

Der SPD-Vorsi­t­­zende Norbert Walter-Borjans kriti­siert die wach­sende Wochen­end­ar­beit:„… die Erwar­tungen der Konsum­ge­sell­schaft an die Verfüg­bar­keit mensch­li­cher Arbeit rund um die Uhr haben ein Ausmaß ange­nommen, das ein Umdenken drin­gend notwendig macht.“

800 qm Regelung im Einzelhandel gekippt

Das Hamburger Verwal­tungs­ge­richt hat die Öffnung von Geschäften bis zu einer maxi­malen Verkaufs­fläche von 800 Quadrat­me­tern für unrecht­mäßig erklärt.

Hier finden Sie Ihre Ansprech­part­ne­rinnen und Ansprech­partner bei Kirchen, Gewerk­schaften und Verbänden.

Wir infor­mieren Sie regel­mäßig über Aktionen, Kampa­gnen und Meinungen zum Thema Sontags­schutz. Hier finden Sie unsere letzten Pres­se­mel­dungen sowie weiter­füh­rende Mate­ria­lien zum Download.