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„Es bleibet dabei“ – am Sonntag ist frei!
Von Erwin Helmer, Betriebsseelsorger, Diakon, Augsburg
Das fast gleichnamige Lied von Konstantin Wecker heißt „Die Gedanken sind frei“, aber ich finde diesen Titel auch schön und sinnvoll! „Am Sonntag ist frei!“ Und das ist keine Selbstverständlickeit. Denn der gemeinsam freie Sonntag ist für viele Menschen eben nicht frei. Deshalb gibt es uns, die wir für den Sonntag einstehen, die wir kämpfen und die wir singen: Es bleibet dabei, der Sonntag iat frei!
29.September 2006 – Gründung der Sonntagsallianz
Vor ziemlich genau 17 Jahren haben wir in Berlin, nahe der Gedächtniskirche, das Aktionsbündnis „Allianz für den freien Sonntag, Deutschland“ gegründet. Und ich war dabei! Unser Ziel war vor allem die Erhaltung der Ladenschlusszeiten unter der Woche und vor allem am Sonntag. Wir forderten die Versöhnung von Arbeitszeit und Lebenszeit, von Arbeit und Leben, von Werktag und Sonntag. Wir wandten uns gegen ausufernde Arbeitszeiten, gegen immer mehr „Marktsonntage“ und gegen das Desinteresse der Politik am Schutz des Sonntags. Das Besondere an unserer Allianz war und ist, dass sich fünf starke und kompetente Partner zu einer gemeinsamen Initiative zusammenschlossen: die katholische Betriebsseelsorge und die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), der evangelische Verband „Kirche-Wirtschaft-Arbeit“(KWA), der Bundesverband der evangelischen Arbeitnehmer (BVEA) und die Gewerkschaft der Beschäftigten von VER.DI im Handel. Über hundert größere und große Organisationen aus Kultur, Sozialverbänden und Kirchen schlossen sich in der Folge als Unterstützer unserer Allianz an.
Die Sonntagsallianz – eine europaweite Sozialbewegung
Schon bald konnten wir unsere Sonntagsallianzen dann in den deutschen Bundesländern ausbreiten, aber auch auf regionaler und sogar auf europäischer Ebene. Wer hätte das gedacht! In den Folgejahren etablierten wir uns in vielen Ländern Europas und fanden Verbündete in wenigstens 15 EU-Ländern. Sogar in Osteuropa wurden jetzt die Sonntagsöffnungen zum Thema gemacht, an manchen Stellen konnte die Sonntagsarbeit reduziert und zum Beispiel in Polen deutlich eingeschränkt werden.
Heute gibt es weniger „Marktsonntage“
Zu Hilfe kam uns das Bundesverfassungsgericht, das am 1.Dezember 2009 verlautbarte: „Der Gesetzgeber verletzt die …Schutzpflicht, wenn er die … Mindestanforderungen an den Sonn- und Feiertagsschutz unterschreitet.“ Und: „Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und ein alltägliches Erwerbsinteresse („Shopping-Interesse“) potenzieller Käufer genügen grundsätzlich nicht, um Ausnahmen …zu rechtfertigen.“ Hinzu kam, dass von Sonntagsarbeit betroffene Verbände vor Gericht nun klagen konnten. Das konnten wir, meist mit unserem Juristen Friedrich Kühn, jetzt sehr erfolgreich tun.
Zahlreiche Angriffe der Sonntagsgegner abgewehrt
Weil wir von der Sonntagsallianz hellwach waren und vor Ort viele Unterstützer haben, konnten wir regelmäßig neue Versuche, in den Sonntag hinein arbeiten zu lassen, unterbinden. Die Sonntagsgegner, das ist vor allem der HDE (Handelsverband Deutschland) und die Freie Demokratische Partei ‑FDP, konnten sich jedenfalls nicht durchsetzen. Von der „Liberalisierung der Ladenschlusszeiten“ bis zu offensichtlich illegalen Sonntagsöffnungen, unsere Gegner starteten einen Großangriff nach dem anderen, um ihre Ziele zu erreichen. Aber, die „Sonntagskiller“ konnten sich nicht durchsetzen. Gott sei Dank!
Der freie Sonntag hat Zukunft
Wenn wir es schaffen, weiterhin die drohenden Gefahren im Blick zu haben und durch Kampagnen und Aktionen öffentlich zu machen, werden wir Schlimmeres verhindern können. Heute droht zum Beispiel Gefahr von einer ganz anderen Seite. Homeoffice hat sich seit den Coronazeiten in den Betrieben und Unternehmen stark etabliert, und das ist gut so. Aber, wer im Homeoffice arbeitet, merkt bald, dass Privatleben und Arbeit ineinander übergehen. Zum einen ein Vorteil, wenn Kinder oder Familienmitglieder zu betreuen oder zu pflegen sind. Zum anderen aber kann konzentrierte Arbeit eventuell weniger oder gar nicht stattfinden. Die Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit droht, und das kann schlimme Folgen haben. Und hat Auswirkungen auf die Stellung des Sonntags, der im Alltag zu verschwimmen droht.
Ohne Sonntag droht die Arbeit rund um die Uhr
Wir sollten weiterhin mit Engagement an einer neuen Kultur der Zeit arbeiten. Arbeitszeit muß stärker als Lebenszeit gesehen werden, die dem Menschen Sinn und Entfaltung gibt. Arbeit und Leben muß versöhnt werden, durch klare Grenzen, die der Ruhe, der gemeinsamen Freiheit und Freizeit und dem gemeinsam freien Sonntag dienen. Vor einigen Jahren habe ich dazu diese „10 Zeiterfahrungen“ formuliert:
10 Zeiterfahrungen
- Lass dir Zeit, armer Mensch, sie ist dein größter Reichtum!
- Nimm dir deine Pausen, sonst nehmen die Pausen dich!
- Du kannst nicht arbeiten „wie ein Kranker“, um dann gesund in Rente zu gehen.
- Du kannst deine Erholung grundsätzlich nicht verschieben, ohne Schaden zu nehmen.
- Sonntag – das ist der Tag, den du brauchst, sonst wirst du „unbrauchbar“.
- Sonntag – das ist der Sieg des Menschen über die rastlose Ökonomie.
- Sonntag – das ist wie ein Magnet, der, unter ein Papierblatt mit Eisenspänen gehalten, wunderbare Kreise und Wellen erzeugt. So geht Sonntag.
- Nimm dir ein Beispiel an den „Sonntagsfahrern“, sie sind dem Sinn des Sonntags schon näher gekommen – wenn auch langsam.
- Nimm dir ein Beispiel am Schöpfungswerk Gottes: „Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte und er ruhte am siebten Tag.“ In der Ruhe liegt die Kraft.
- Nimm diese Erfahrungen ernst, aber bitte erst ab übermorgen!
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