Foto: tegut
KI muß Sonntagsschutz noch erlernen
Gericht legt teo einen Riegel vor
Hessen startet Angriff auf das Grundgesetz
Sonntagsallianz 09.Januar 2024 — In den USA, die weder Ladenschlussverordnungen noch den gesetzlichen Sonntagsschutz kennen, sind sie bereits etabliert: Automatisierte Supermärkte, die rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche geöffnet sind – und angeblich ganz ohne Personalaufwand. Auch in Deutschland versuchen Einzelhandelsunternehmen verstärkt, mit diesen Läden Daueröffnungen durchzusetzen, so auch das Unternehmen Tegut. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat den Tegut-Läden nun einen Riegel vorgeschoben. Als Reaktion auf das Urteil stellen die CDU und die FDP-Fraktionen in Hessen jetzt nicht nur höchstrichterliche Urteile, sondern auch das Grundgesetz in Frage.
Ein Testkauf
Ob Brot und Brötchen, Tiefkühlwaren, Nudeln, Gemüse, Obst, Süßigkeiten oder Hygieneartikel: Im Schnitt bieten solche Automatengeschäfte etwa 1000 Artikel des täglichen Bedarfs an. Der Kunde loggt sich vor dem Betreten mit seinen persönlichen Daten ein und kann sich danach bedienen. Zahlreiche Kameras beobachten dabei das Kaufverhalten des Kunden, um Diebstählen vorzubeugen. Musikuntermalung soll das Wohlgefühl, sprich die Kauflust der Kunden, weiter triggern. Bezahlt wird an Scannerkassen. Die Läden, so behaupten die Anbieter, funktionierten gänzlich ohne Personal. Der im Grundgesetz verbriefte Arbeitnehmer- und damit auch der Sonntagsschutz würden damit obsolet.
Das Unternehmen Tegut betreibt derzeit über 300 Filialen in Hessen, Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Baden-Württemberg. 2013 wurde das Unternehmen von der schweizerischen Migros übernommen.
Im November 2020 eröffnete Tegut in Fulda den ersten vollautomatisierten Laden unter dem Namen teo mit einer Verkaufsfläche von 50 m². Dank automatisiertem „personallosem“ Betrieb sah sich tegut nicht an die gesetzlichen Ladenöffnungszeiten gebunden. Die Läden waren daher auch an Sonntagen rund um die Uhr geöffnet. Tegut betrieb 28 teos in Hessen und weitere elf in Baden-Württemberg sowie Bayern.
Gericht schließt teo-Läden und betont den Sonntagsschutz
Der 8. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat den Weiterbetrieb der Tegut teo Läden in Hessen mit Beschluss vom 22.12.202 nunmehr untersagt. Das Unternehmen wie auch die Handelsverbände hatten dabei stets argumentiert, dass die Automatenläden nicht gegen den im Grundgesetz verbrieften Arbeitnehmerschutz verstießen, die Öffnung an Sonntagen daher erlaubt sei. Dieser Auffassung folgte das Gericht nicht. Die von der Stadt Fulda verfügte Schließung von ohne Personal betriebenen Verkaufsmodulen an Sonn- und Feiertagen ist damit rechtens.
Zweijähriger Rechtsstreit
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2021 hatte die Stadt Fulda mit sofortiger Wirkung verfügt, die im Stadtgebiet aufgestellten Verkaufsmodule insbesondere an Sonn- und Feiertagen zu schließen. Hiergegen wandte sich Tegut mit einem gerichtlichen Eilantrag, den das Verwaltungsgericht Kassel mit Beschluss vom 4. Januar 2022 ablehnte (3 L 1734/21.KS).
Der 8. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Kassel bestätigt und sich hierbei maßgebend auf die Bestimmungen des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes gestützt. Nach § 3 Abs. 2 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes müssen Verkaufsstellen unter anderem an Sonn- und Feiertagen für den geschäftlichen Verkehr mit Kundinnen und Kunden geschlossen sein. Verkaufsstellen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes Ladengeschäfte aller Art, falls in ihnen von einer festen Stelle aus ständig Waren zum Verkauf an jedermann „feilgehalten“ werden.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, das Verwaltungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Verkaufsmodule Verkaufsstellen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes seien. Das „Feilhalten“ von Waren im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes setze nach der gesetzlichen Definition dieses Begriffs keinen persönlichen Kontakt mit einem Verkäufer voraus. Es mache für das „Feilhalten“ von Waren keinen Unterschied, ob der Kunde die begehrte Ware aus einem Automaten oder aus einem Verkaufsregal bzw. von einem Verkaufstisch an sich nehme; der Verkaufsvorgang setze in beiden Fällen ein aktives Handeln des Kunden voraus, dem nicht zwangsläufig ein aktives Tun des Verkäufers gegenüberstehe.
Richtig sei zwar das von der Antragstellerin vorgetragene Argument, dass bei einem Verzicht auf den Einsatz von Verkaufspersonal das dem Ladenschlussrecht zu Grunde liegende Ziel des Arbeitnehmerschutzes erreicht werde. Das Hessische Ladenöffnungsgesetz diene allerdings nicht allein dem Arbeitnehmerschutz, sondern auch dem Ziel, die Sonntage und staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung zu schützen. Es bestehe auch keine Vergleichbarkeit zwischen dem Einkauf in den streitgegenständlichen Verkaufsmodulen und den auch sonn- und feiertags durchgängig möglichen Onlinebestellungen. Insbesondere habe der Onlinebestellvorgang keinerlei Außenwirkungen und sei daher nicht geeignet, die Sonn- und Feiertagsruhe der übrigen Bevölkerung zu beeinträchtigen. Der Beschluss ist im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug nicht anfechtbar. Das schriftliche Urteil werde in den nächsten Tagen veröffentlicht, erklärt der VHG auf Anfrage (Aktenzeichen: 8 B 77/22)
CDU und FDP Hessen wollen Urteil nicht akzeptieren
Unmittelbar nach dem Gerichtsurteil hatte sich der Tegut-Geschäftsführer der Lebensmittelkette mit dem Fuldaer Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld (CDU), getroffen. Wingenfeld habe zugesagt, sich im Sinne von Tegut für eine politische Lösung einzusetzen. Nach dem Willen der CDU soll das hessische Ladenöffnungsgesetz im Sinne Teguts geändert werden.
Die neue schwarz-rote Landesregierung will eine Anpassung des Ladenöffnungsgesetzes laut Koalitionsvertrag „ergebnisoffen prüfen“. Das hessische Ladenöffnungsgesetz werde den Entwicklungen im Handel nicht gerecht, meinte dazu auch Stefan Naas, wirtschaftspolitischer Sprecher der Freien Demokraten im Landtag. Es brauche eine Reform, um den Fortschritt nicht auszubremsen, erklärte er. Dass die CDU und die FDP mit ihrem Vorstoß das Grundgesetz und höchstrichterliche Urteile angreifen, verschweigen die Parteien. Zudem: Tegut hat seinen Hauptsitz in Fulda und gehört zu den größten Gewerbesteuerzahlern. „Es handelt sich somit um einen nicht nachvollziehbaren Wettbewerbsvorteil für Tegut und nötigt auch Konkurrenten, nachzuziehen”, resümiert die Allianz für den freien Sonntag.
Sonntagsallianz begrüßt Urteil und warnt die Politik
Der Sonntagsallianz-Sprecher Hessen, Bernhard Schiederig, betont, dass das hessische Verwaltungsgericht lediglich für eine Klarstellung der bestehenden Gesetzeslage gesorgt habe. “Der Sonntag ist der einzige freie Tag und vom Grundgesetz aus guten Gründen geschützt. Sonn- und Feiertage dienen der Gemeinschaft; wir brauchen sie für Familie, Freunde, als Schutz vor dem Rund-um-die-Uhr-Prinzip – erst Recht beim Konsum.“
Schiederig hält bereits den Begriff Automat für problematisch. Dass solche Läden ohne Menschen betrieben würden, sei eine Mär. Die „Automaten“ müssen etwa beliefert und befüllt werden. „Von der Öffnung an Sonn- und Feiertagen sind daher unmittelbar auch Beschäftigte betroffen.” Es gebe, abgesehen von den Behauptungen der Unternehmen und Lobbypolitikern keine schlüssige Begründung, Läden rund um die Uhr zu öffnen. „Die Mehrheit nutzt das Angebot nicht, weshalb etwa Discounter in der Regel um 21/22 Uhr schließen. Die längeren Öffnungszeiten haben weder Pleiten noch Entlassungen verhindert“, so Schiederig. Man müsse sich fragen, ob den Menschen die Zeit oder das Geld zum Einkaufen fehlt. „Auch der Blick in andere Länder überzeugt nicht: In Bayern ist bis 20 Uhr geöffnet. Die Umsätze sind höher. Falls die Parteien in Hessen ihr Ansinnen wahr machen, werden wir notfalls erneut bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen“, kündigte die Allianz für den freien Sonntag an.
Zur Person
Bernhard Schiederig war bis zu seinem Ruhestand Landesfachbereichsleiter Handel bei Verdi und ist Sprecher der Allianz für den freien Sonntag Hessen.
Kontakt:
Bernhard.Schiederig@t‑online.de
Mobil: 0176 465 39 996
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