Ein Feiertag der Freiheit — Auch für Christen ist der Sonntag nicht nur für den Gottesdienst da
Pfr. Dr. Ralf Stroh, Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN, Mainz
In der aktuellen Debatte rund um den Sonntagsschutz wird immer wieder behauptet, der freie Sonntag sei vor allem aus Rücksicht auf die Christen eingeführt worden. Und da das Christentum immer mehr im Schwinden sei, dürfe man auch diese angebliche Rücksichtnahme auf den christlichen Glauben etwas mehr in den Hintergrund treten lassen. Dabei wird übersehen, was manch einen erstaunen mag: der freie Sonntag ist gar keine Erfindung der christlichen Kirche – und zwar weder zur Zeit seiner ersten gesetzlichen Absicherung im vierten Jahrhundert durch Kaiser Konstantin, noch in der Gesetzgebung der Neuzeit. Als der freie Sonntag im Jahr 321 zum ersten Mal rechtlich abgesichert wurde, waren die Christen noch eine verschwindend kleine Minderheit im römischen Reich und kurz zuvor sogar noch eine verfolgte Gruppe, die ganz gewiss keinen großen politischen Einfluss geltend machen konnte. In der frühen Christenheit wurde der erste Tag der Woche – also der Tag nach dem Sabbat — zwar traditionell liturgisch als Tag der Auferstehung gefeiert, aber dies in der Zeit der Verfolgung nur im Verborgenen und ohne den Anspruch, dass dieser Tag ein arbeitsfreier Tag analog zum Sabbat sein müsse. Es sind keine Dokumente aus der frühen Christenheit bekannt, die darauf hinwiesen, dass es kirchliche oder theologische Bestrebungen gegeben hätte, daran etwas zu ändern. Der Erlass, den Kaiser Konstantin verkünden ließ, machte den Sonntag auch nicht zu einem spezifisch christlichen Feiertag, sondern eröffnete allen Menschen die Freiheit, diesen Tag so zu nutzen, wie sie es für richtig hielten. Der freie Sonntag war zunächst kein dezidiert christlicher Feiertag. Dieser Eindruck ergab sich erst infolge der kurz darauf einsetzenden politischen Ermächtigung des Christentums zur herrschenden Religion. Erst ab diesem Moment wurde aus dem Tag der Freiheit von den Zwängen der Arbeit ein Tag, der in bestimmter, nämlich christlicher Weise religiös gefüllt wurde und andere Sonntagskulturen mit politischer Macht an den Rand drückte. Diese politische Indienstnahme des Sonntags durch die christliche Kirche drängte aber nicht nur alternative religiöse Sonntagskulturen an den Rand, sondern erschwerte es auch innerchristlich, einen offenen Umgang mit einer möglichen Vielfalt christlicher Sonntagskulturen zu entfalten. Bis heute bleibt es ein Desiderat, dass christliche Theologie und christlichen Kirchen ein Verständnis des freien Sonntags entwickeln, das den ganzen Sonntag in den Blick nimmt und nicht nur den Sonntagvormittag als traditionellem Termin des Sonntagsgottesdienstes. Wo aber ungeklärt bleibt, warum aus christlicher Sicht nicht nur die traditionelle Zeit des Sonntagsgottesdienstes frei von Arbeit und Geschäftigkeit bleiben soll, sondern der ganze Sonntag ein Feiertag der Freiheit, fehlen die Argumente dafür, die übrigen Stunden des Sonntags rechtlich als freie Zeiten zu schützen. Der Gottesdienst selbst kann auch aus christlicher Perspektive nicht das ausschlaggebende Argument für den freien Sonntag sein, weil sonst auch alle Gottesdienste, die unter der Woche stattfinden, mit der Forderung verbunden werden müssten, diese Tage seien als freie Tage rechtlich abzusichern. Dass der freie Sonntag aus christlicher Sicht ein Segen ist, hat Gründe, die über den Gottesdienstbesuch hinausreichen und auch über die institutionelle Formung der christlichen Lebenspraxis.
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