Foto: BVerwG
Erfolg in der Niederlage
Sonntagsallianz begrüßt Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
Sonntagsallianz 16.März 2022 — Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat am heutigen Mittwoch entschieden, dass die von ihm entwickelten Kriterien zu anlassbezogenen Sonntagsöffnungen im Grundsatz auch in Berlin anzuwenden sind. Damit hat es die Argumentation des Landes Berlin zurückgewiesen, wonach die Rechtsprechung des BVerwG zu anlassbezogenen Sonntagsöffnungen wegen der besonderen Bedeutung der Stadt auf Berlin nicht anwendbar sei. (Aktenzeichen 8 C 6.21).
Anlaß muß stichhaltig sein
Danach kommt es für die Rechtmäßigkeit von anlassbezogenen Sonntagsöffnungen in Berlin zukünftig insbesondere darauf an, dass die Zahl der von der Anlassveranstaltung selbst angezogenen Besucher die Zahl derjenigen Personen übersteigt, die allein der Ladenöffnung wegen kämen. Dies gilt nach der Entscheidung auch dann, wenn der räumliche Bereich der Öffnung ausnahmsweise wegen der besonderen Bedeutung der Veranstaltung nicht auf das Umfeld der Veranstaltung begrenzt werden muss.
Auch wenn im konkreten Fall die Sonntagsöffnungen im ersten Halbjahr 2018 aufgrund der bindenden Sachverhaltsfeststellungen des OVG als rechtmäßig anerkannt wurden, begrüßen die in der Sonntagsallinz zusammengeschlossenen Partner die Klarstellung ausdrücklich!
Sonntagsöffnungen schaden dem sozialen Zusammenhalt
„Für uns hat der Schutz des Sonntags als dem letzten arbeitsfreien Tag im Handel einen sehr hohen Stellenwert. Seit Jahren gibt es ein großes Interesse von großen Handelsunternehmen und ihren Lobbyisten, den grundgesetzlich verankerten Schutz des Sonntags zu Fall zu bringen“, erklärt Conny Weißbach, Fachbereichsleiterin Handel im ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg. „Im Interesse der Beschäftigten im Handel, deren Arbeitsbedingungen sich in den vergangenen Jahren durch die Ausweitung der Öffnungszeiten immer weiter verschlechtert hat, stellen wir uns dieser Kommerzialisierung entgegen. Der Sonntag muss im Handel grundsätzlich arbeitsfrei bleiben!“
Hintergrund: Streit schwelte seit 2017
ver.di hatte Ende 2017 vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen die Allgemeinverfügung des Landes Berlin zu Sonntagsöffnungen im ersten Halbjahr 2018 geklagt (VG Berlin, Urt. v. 05.04.2019, VG 4 K 527/17) und Recht bekommen. Es ging um die Sonntagsöffnung am 28. Januar, 18. Februar und 11. März 2018. Das Verwaltungsgericht begründete die Entscheidung damit, dass die Allgemeinverfügung der Stadt rechtswidrig war. Entgegen der gesetzlichen Vorgaben bestünde an den betreffenden Sonntagen kein „öffentliches Interesse“ an Sonntagsöffnungen im gesamten Stadtgebiet. Die von der Stadt genannten Anlässe für die Sonntagsöffnungen (Grüne Woche und Sechstagrennen, Berlinale, ITB) würden sich nicht im gesamten Stadtgebiet als prägend auswirken. Auch bestünde bei Veranstaltungen, die mehrere Tage dauern, kein Anlass, über die werktäglichen Öffnungsmöglichkeiten hinaus weitere Öffnungen an Sonntagen zu gestatten. Damit folgte das Gericht weitgehend der Argumentation von ver.di, dass die bemühten Veranstaltungen keinen Anlass böten, um deswegen Elektromärkte oder Möbelhäuser stadtweit öffnen dürften.
Verstoß bleibt Verstoß
ver.di sah und sieht in einer derartigen Genehmigungspraxis des Senats einen grundsätzlichen Verstoß gegen das Ladenöffnungsgesetz. Seit Jahren würde in Berlin gegen geltendes Ladenöffnungsrecht verstoßen, teilte ver.di damals mit. Die Gewerkschaft sah dabei weniger im Berliner Ladenöffnungsgesetz das Problem, sondern in seiner Anwendung. Obwohl das Bundesverfassungsgericht schon 2009 klargestellt hatte, dass weder das Umsatzinteresse von Händlern noch das Einkaufsinteresse von Kunden eine Ladenöffnung am Sonntag begründen können, wurde dennoch seither genau das gemacht. Nichtige oder bezugslose Anlässe mussten dafür herhalten, dass die Läden an acht vom Senat allgemein genehmigten Sonntagen Umsatz machen konnten. So wurde nicht nur in Berlin, sondern auch anderswo verfahren, was über Jahre bundesweit zu einer Reihe von Gerichtsurteilen von Verwaltungsgerichten bis hin zum Bundesverwaltungsgericht gegen eine derartige Öffnungspraxis führte.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat auf Antrag des Landes Berlin am 23. Januar 2018 dann beschlossen (OVG Berlin-Brandenburg, 1 S 4/18), die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. April 2019 (VG Berlin, Urt. v. 05.04.2019, VG 4 K 527/17) aufzuheben. Das Oberverwaltungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass eine Rechtswidrigkeit, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, nicht zu erkennen sei. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes sei die Anlassrechtsprechung des BVerwG auf Berlin nicht anwendbar. Gegen diese Entscheidung hat ver.di wegen der besonderen Bedeutung Revision beim BVerwG erhoben. Dieses hat nun entschieden, dass entgegen der Auffassung des OVG die Anlassrechtsprechung grundsätzlich auch in Berlin anzuwenden ist.
Arbeitnehmerschutz geht vor
„Auch wenn das BVerwG die Revision im Ergebnis zurückwies, hat das heutige Urteil für uns eine wesentliche Bedeutung. Mit dem Urteil stellt das BVerwG klar, dass die von ihm entwickelten Grundsätze zu anlassbezogenen Sonntagsöffnungen auch in Berlin anzuwenden sind. Einmal mehr unterstreicht das Gericht damit den Schutz des arbeitsfreien Sonntags. Diesen gilt es zu schützen, da dieser in einer Zeit zunehmender Kommerzialisierung aller Lebensbereiche für den Einzelnen und die Gesellschaft eine erhebliche Bedeutung hat. Insbesondere die Beschäftigten im Einzelhandel sind aufgrund der Ausweitung der Öffnungszeiten an Werktagen und der übrigen Verdichtung der Arbeit in zunehmendem Maße auf den arbeitsfreien Sonntag als letztem Tag in der Woche, an dem diese regelmäßig frei haben, angewiesen“, so Conny Weißbach.
Die Pressemitteilung des BVerwG zum Nachlesen
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