Neue Impulse für die Innenstadtentwicklung
Neue Impulse für lebendige Innenstädte
Prof. Thomas Krüger, Experte für Stadtplanung an der Hafen-City Universität Hamburg stellt Massnahmen vor
Das Coronavirus hat die Digitalisierung im Einzelhandel (Onlinehandel) und in der Büroarbeit (Home-Working) deutlich beschleunigt. Hinzu treten die gravierenden Einbrüche in Gastronomie, Hotellerie und der Freizeit- und Kulturwirtschaft. In der Folge stehen die gewachsenen Zentren, d.h. Innenstädte, Stadtteilzentren und Kleinstadtzen-tren, vor einem grundlegenden strukturellen Wandel. Die Veränderungen sind sehr schnell, umfassend und tiefgreifend, vielfältig und unübersichtlich – und sie treffen nicht wenige Beteiligte in ihrer Substanz. Diese Situation setzt die Akteure der Entwicklung der Zentren unter großen Druck – und der „Markt“ wird die Probleme in diesem Fall nicht lösen, im Gegenteil. Es ist eine orientierende, ordnende und unterstützende Hand gefragt. Das müssen in der Regel die öffentlichen Hände, insbesondere die Kommunen, sein, die sich mit Kompetenzen zu den hier relevanten Gebieten des Einzelhandels, der Immobilienwirtschaft, der Gastronomie, der Kultur und der Zivilgesellschaft verstärken bzw. diese einbinden müssen.
Die Kommunen sind gefordert, Rahmenbedingungen schaffen, die die privaten Akteure in die Lage versetzen, ihre Geschäftsmodelle und ihre Immobilien zu erneuern. Herausforderungen und Chancen für die Innenstädte
Kurzfristig:
Es wird wegen Geschäftsaufgaben von Einzelgeschäften, Gastronomie etc. und dem Rückzug der Waren- und Kaufhäuser und der Filialisten (von denen viele schon längst auch „online“ sind!) zu Leerständen kommen. Daraus kann ein sich selbst beschleunigender Niedergang entstehen. Innenstädte werden von ihren Besuchern als Gesamtzusammenhang erlebt und nicht zuletzt wegen der Belebtheit des öffentlichen Raums geschätzt. Deshalb gilt es, die absehbaren oder bereits bestehenden Leerstände möglichst schnell neu, ggf. mit Zwischennutzungen, zu belegen und die Innenstadt als Ort, „wo etwas los ist“, wo es immer wieder „Neues zu sehen“ gibt, zu stärken – gerade in einer Phase des Umbruchs. Geschieht dies nicht, ist ein nachhaltiger Bedeutungsverlust wahrscheinlich.
Ein Ad hoc-Management, das kurzfristig (nur) von der Kommune geschaffen werden kann, sollte deshalb Zwischen- oder Nachnutzungen organisieren, am besten innovativ und individuell, ggf. temporär (pop ups), gern hybrid bzw. Multi-Channel (stationär und digital) Märkte, Veranstaltungen, Aktionen organisieren, um (zusätzlich zum Handel) Besuchsanlässe zu schaffen und das soziale und kulturelle „Erlebnis Innenstadt“ zu stärken
Ggf. ökonomisch intervenieren: Anmietung von Flächen für Zwischennutzungen, Anschubförde-rung für innovative Formate, Zwischenerwerb strategischer Immobilien.
Aber: das kurzfristige Eingreifen durch die Kommune darf nicht dazu führen, dass die fällige Absenkung der Einzelhandelsmieten in vielen Lagen verzögert oder verhindert wird
Mittelfristig:
Die Innenstadt kann/soll (wieder) ein je Stadt einzigartiger Ort werden mit Angeboten und Erlebnis-sen, die es sonst nirgendwo gibt!Dazu müssen insbesondere die privatwirtschaftlichen Akteure, d.h. die Gewerbetreibenden (Einzel-handel, Gastronomie, Dienstleister usw.) und die Immobilieneigentümer mit der Kommune zusammenarbeiten. Diese sollte auch Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie soziale Träger einbinden und die Bevölkerung beteiligen. Die Akteure bilden ein „Bündnis für die Innenstadt“ und entwickeln einen Masterplan als Zielbild und Rahmenkonzept für die zukünftige Innenstadt. Der Masterplan gibt eine Orientierung für die zukünftige räumliche und funktionale Struktur und wird mit Projekten und Maßnahmen konkretisiert und laufend fortgeschrieben. Die Einbindung der verschiedenen Akteure, die Erarbeitung des Masterplans sowie die Entwicklung und Realisierung von Projekten und Maßnahmen erfordern ein Transformationsmanagement. Es bündelt die Ressourcen der Kommune, bereitet gemeinsam getragene Maßnahmen vor und setzt diese in Kooperation mit den Akteuren um. Es kann kurzfristig intervenieren, ggf. mit Ankäufen von Immobilien oder Finanzierung von Innovationsprojekten, wenn die konventionellen Instrumente und Verfahren der öffentlichen Verwaltung nicht oder zu spät greifen.
Die Kommunen unterstützen die Transformation auch mit bodenrechtlichen Instrumenten, insbeson-dere mit dem Besonderen Vorkaufsrecht (§25 BauGB) und ggf. dem Einsatz des Besonderen Städte-baurechts (Zweites Kapitel BauGB), dessen Anwendung durch den Gesetzgeber allerdings deutlich erleichtert werden muss.
Hinzutreten sollte die bewährte Städtebauförderung („Lebendige Zentren“), um den Kommunen die Finanzierung ihres erforderlichen Engagements in der Transformation der Zentren zu erleichtern.
Bausteine einer mittelfristigen Transformation können bzw. sollten sein:
Es ist vielfach ein Umbau (zu) großer Ladenflächen, von Waren- und Kaufhäusern und von Bü-roflächen erforderlich, um den neuen Anforderungen zu entsprechen. Vielfach kann und sollte der öffentliche Raum verbessert werden durch
Schaffung/Verbesserung hoher Aufenthaltsqualität,
Schaffung/Verbesserung von Flächen für Veranstaltungen, ggf. Verkürzung und Konzentration von Einkaufsbereichen.-
Mehr Vielfalt der Angebote und Nutzungsmischunginnovativer, individueller Handel + Gastro+ Kultur + Handwerk + experimentelle und temporäre Nutzungen usw. werden ermöglicht durch:
Kooperation der Eigentümer und Geschäfte, ggf.in zusammenhängenden Bereichen der In-nenstadt (Geschäftsstraßen, Plätze, Quartiere), um einen attraktiven Nutzungsmix zu schaffen. Dies kann durch Geschäftsstraßenmanagement bzw. Flächenmanagement, das gemeinsam von Kommune, Gewerbetreibenden und Eigentümern getragen wird, durch neue Modelle von Business Improvement Districts oder neue ökonomische Modelle für Nutzungsmischung (s.u.) umgesetzt werden.
Neue ökonomische Modelle für Nutzungsmischungz.B. Quersubvention („starke‘“Nutzungen unterstützen „schwache“), zugunsten wenig zahlungsfähige Nutzungen (Kultur, Handwerk, experimentelle und temporäre Nutzungen).
Mehr Begegnung und Kommunikation im öffentlichen Raum durch Märkte, Straßenkultur, Veranstaltungen, getragen von Kommune und Geschäftswelt (City Marketing).
Ansiedlung und Präsenz öffentlicher Einrichtungen in der Öffentlichkeit: Dependance der Museen in Ladengeschäften, Straßentheater, Projekt- und Seminarräume von Schulen und Hochschulen usw..
Herausforderungen und Chancen für Stadtteilzentren und Kleinstädte
Wie in den Innenstädten großer Städte wird es wegen Geschäftsaufgaben von Einzelgeschäften und Rückzug von Filialisten zu Leerständen kommen. Dies kann im Falle ohnehin geschwächter Stadtteil- und Kleinstadt-Zentren bis zur Auflösung der Zentrumsfunktion führen. Die absehbaren Funktionsverluste der Innenstädte im Handel und als Büroarbeitsplatz können dazu führen, dass die dezentralen Zentren Stadtteil‑, Quartiers- und Kleinstadt-Zentren an Funktion und Bedeutung gewinnen. Stärkung der Versorgungsfunktion Stadtteil‑, Quartiers- und Kleinstadt-Zentren können weiterhin bzw. zukünftig eine zentrale Rolle in der wohnungsnahen Versorgung und für das öffentliche Leben in den Quartieren bzw. Kleinstädtenhaben. Dies setzt voraus, dass ein attraktives Angebot des täglichen Bedarfs integraler Bestandteildes Zentrums ist, d.h. nicht außerhalb konzentriert ist.
Ankernutzungen der Zentren sind
Lebensmittel
Drogeriewaren
Lebensmittel- und Dienstleistungshandwerk
Gesundheitsversorgung
Ggf. Soziale Einrichtungen bzw. Treffpunkte und Kitas
Daran anlagern können sich neue Kombinationen, die stationäre Angebote mit digitalen verknüpfen, die Handel mit Handwerk, Dienstleistungen und Gastronomie verbinden, die unter Nutzung von Synergieeffekten den Vorteil der Kundennähe und persönlichen Beratung ausspielen.
Stärkung der Kommunikationsfunktion
Angesichts der wachsenden Zahl der Ein-Personen-Haushalte, der Zunahme flexibler Arbeitszeitmo-delle und insbesondere von Home-Office bzw. Remote-Working nimmt der Wunsch bzw. Bedarf nach Abwechslung, Begegnung und Kommunikation zu. Stadtteil‑, Quartiers- und Kleinstadt-Zentren können – in Kombination mit einer guten Nahversorgung – als Knotenpunkte des gesellschaftlichen Lebens gestärkt werden durch
Gute Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum
Gastronomie
CoWorking Space
Soziale und ggf. kulturelle Nutzungen
Ausbau als Mobilitätsknoten (Schnittstelle ÖV-IV)
Auf diese Weise können insbesondere die Quartiers- und Stadtteilzentren zum „Third Place“ zwi-schen der privaten Wohnung und dem (Haupt-) Arbeitsplatz und den Einrichtungen in der Großstadtwerden.
Handlungsbedarf
für die Innenstädte der Großstädte werden auch in den Stadtteil‑, Quartiers- und Kleinstadt-Zentren die Akteure vor Ort intensiv in die Konzeptentwicklung und die Umsetzung eingebunden werden müssen. Ebenso muss die Kommune Know-How mindestens aus den Bereichen Einzelhandel und Immobilienwirtschaft einbinden. Es ist zu erwarten, dass ein Teil der Privateigentümer von Wohn- und Geschäftshäusern im absehbaren Umbruch (Leerstände, Neuausrichtung der Immobilie oder sogar grundlegende Umstrukturierung und Neuordnung der Nachbarschaft) mit den daraus erwachsenden Herausforderungen überfordert sein wird. Diese sollten von der Kommune oder Beauftragten aktiv angesprochen und ggf. mit einer seriösen aufsuchenden Beratung – letztlich zum eigenen Vorteil – zur Mitwirkung unterstützt werden.Für die Sicherung und ggf. Stärkung der Ankernutzungen der Nahversorgung und der Ausbau von Mobilitätsknoten ist die Sicherung eines Besonderen Vorkaufsrechts (§25 BauGB) sinnvoll und können Eingriffe in die gewachsene Grundstücks- und Gebäudestrukturen („Funktionsschwäche-Sanierung“ BauGB § 136 (2) 2.) erforderlich sein
Das Thema Innenstadtentwicklung ist eng mit mit unserem Herzensthema verbunden. Wie können sich Innenstädte neu erfinden, wie können sie attraktiver werden, ohne ausschließlich auf eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten zu setzen? Dazu ist bereits seit einiger Zeit eine breite Diskussion ins Rollen gekommen, die wir begrüßen. Denn wir finden: die Qualität von Innenstädten misst sich nicht an Verkaufszahlen, sondern daran, ob Menschen sich dort gerne aufhalten und sie so zu zentralen Orten für das Gemeinwesen zu werden. Auch ohne Geld auszugeben.
Wir stellen Ihnen hier in loser Reihenfolge Impulse von verschiedenen Seiten zu diesem Thema vor.
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