Foto: Alte Kaufhausruine / DER JOURNALISTENRAT
Der Fall der Warenhäuser — Fällt nun auch der Sonntagsschutz?
12.05.24 Sonntagsallianz — Warenhäuser galten lange Zeit als innerstädtischer Kaufmagnet und Treffpunkt. Das Beispiel Galeria/Karstadt/Kaufhof und des KadeWe verdeutlicht: die Zeit der traditionellen Kaufhäuser geht zu Ende. Nur was kommt danach? Sonntagsöffnungen in der Breite, um die Innenstädte neu zu beleben und wie es der Handelsverband Deutschland aktuell wieder fordert?
Der Fall der Kaufhäuser begann nicht erst mit dem Online-Handel. Bereits in den 80er Jahren büßten die Häuser ihre Anziehungskraft durch das Aufkommen von Discountern ein. Erst mit Lebensmitteln, später dann auch mit Haushaltswaren, Textilien und Wohnbedarf. Warum aber kam nach zahlreichen Insolvenzen und Finanzspritzen des Bundes die zum Signa-Konzern gehörenden Kaufhäuser nicht aus der Krise? Die bereits umgebauten Galeria/Karstadt/Kaufhof-Filialen mit unterschiedlichen Konzepten laufen zwar besser. Die Neustrukturierung kommt für viele Häuser aber zu spät. Vor allem Berater hätten an der Krise verdient, dem Konzept eines Warenhauses der Zukunft wurde nicht gefolgt, kritisieren Insider.
Chancen für kleinere Händler
Die sterbenden klassischen Warenhäuser können es Einzelhändlern ermöglichen, bestimmte Warengruppen weiter anzubieten,allerdings für eine klar definierte Zielgruppe, da der Online-Handel alles anbieten kann. Nicht Masse, sondern „Erlebnis pro Quadratmeter“ muss die Devise künftig heissen, gepaart mit Online-Aufritten via Tiktok und Live-Events wie Verköstigungen oder Modenschauen.
Wording von sterbenden Innenstädten geht zu weit
„Wir haben ein Ladensterben, aber das ist nicht gleichzusetzen mit dem Sterben der Innenstädte, weil die Innenstädte bleiben“, betont Dr. Marion Klemme, Leiterin des Referats Stadtentwicklung beim Bundesinstitut für Bau‑, Stadt- und Raumforschung im Deutschlandfunk (DLF). „Der Anteil des Handels verändert sich, er macht Platz für Neues, aber die Innenstädte an sich, die sterben nicht.“ Klemme ist verantwortlich für die Themen: Stadt von übermorgen, Innenstädte und Zentren sowie Integrierte und kooperative Stadtentwicklung.
Das Referat betreibt wissenschaftliche Politikberatung hinsichtlich gesellschaftlicher Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Handlungsebenen Stadt und Stadtquartier. Die Forschung bezieht sich im Kern auf die Analyse des kurz- wie mittelfristigen Handlungsbedarfs sowie auf die Anforderungen der kommunalen Praxis an eine integrierte und nachhaltige Stadtentwicklungspolitik. Arbeitsschwerpunkte des Referats bilden die Analysen von Stadtentwicklungsprozessen und von innovativen Modellvorhaben. Das Referat begleitet fachlich die Urbane Liga sowie die Arbeiten des Beirat Innenstadt beim BMWSB und erstellt federführend den Stadtentwicklungsbericht der Bundesregierung.
Handel bleibt erhalten — nur diversifiziert!
„Für die unterschiedlichen Stadt- und Zentrentypen ist nach den Ergebnissen einer BBSR-Studie damit zu rechnen, dass die Innenstädte der Großstädte und starker Mittelstädte weiter stabile und attraktive Handelsstandorte bleiben. Aber: Auch Kitas, Altentagesstätten, Museumsfilalen oder Stadtverwaltungen und andere Serviceangebote gemeinwohlorientierter Nutzung werden zukünftig weitaus häufiger in den Zentren zu finden sein. „Gewünscht ist eine Innenstadt, die lebt und für alle da ist.“
Bremerhaven – Leipzig — Fulda — Hanau
Bremerhaven investierte 2,5 Millionen Euro für Verweilzonen und Fahrradabstellplätze in den Innenstädten. Im Tourismusbüro wurde eine Stelle eingerichtet, die zwischen Vermietern und möglichen Mietern vermittelt.
Für weitere 12.5 Millionen hat die Stadt das im Zentrum stehende und seit 2020 leerstehende ehemalige Karstadt-Gebäude erworben. Das marode Gebäude soll abgerissen und neuen Konsum, Arbeits- und Wohnformen Platz machen. Mit Geschäften, Wohnungen, Büros und Gastronomie. „Die Städte erkämpfen sich in ihrem Kernbereich das zurück, was sie immer waren. Nicht nur dass dort Handel getrieben ist, sondern da hat man sich auch getroffen, da hat man flaniert, da hat man kulturell sich ausgetauscht, da hat man gearbeitet. Das wird unsere Innenstädte wieder viel mehr prägen als das bisher der Fall ist“, prognostiziert die Stadt.
Das Problem, vor dem viele Städte stehen, bleibt die sogenannte Baunutzungsverordnung, die eine strikte Trennung zwischen Gewerbe, Wohnen und Arbeiten vorsieht. Bereits 2019 hatten Architkekten und über 100 Stadtbauräte und Planungsleiter aus rund 85 Städten in der „Düsseldorfer Erklärung“ eine Anpassung der Baunutzungsverordnung gefordert. Getan hat sich bis heute: Nichts. Der Vizepräsident des Deutschen Städetages, Burkhardt Jung, fordert von der Regierung mehr Spielräume, darunter Vorkaufsrechte und ein strikeres Einschreiten gegen Immobilienbesitzer, die aus Spekulationsgründen Häuser und Läden leerstehen lassen.
Auch Leipzig war vom Leerstand eines Karstadt-Hauses betroffen. Das Haus wurde mit Hilfe der Stadt umgebaut. Im Unter‑, Erd- und ersten Obergeschoss findet der Einzelhandel Platz, in den anderen Etagen wurden Co-Working-Plätze, Büros, Wohnungen und Mikroappartments eingerichtet.
In Fulda wird für eine zukunftsweisende und lebendige Entwicklung der Fuldaer Innenstadt einem Fünf Punkte plan gefolgt.
So sei es erstens wichtig, gleichermaßen Qualität und Attraktivität der Innenstadt zu stärken. „Hierzu gehört auch, dass die Stadt auf eine angemessene Größenordnung der Handelsflächen setzt. Die Qualität des Angebotes muss wichtiger sein als die Quantität. Mit der bereits im Jahr 2016 getroffenen Entscheidung, im Löhertor keine neuen Handelsflächen zu schaffen, sondern einen Nutzungsmix aus Büros, Hotel und Wohnen zu realisieren, hatte Fulda bereits erfolgreich wichtige Weichen gestellt.
Ein zweiter wichtiger Baustein liegt im weiteren Ausbau der bereits sehr gut etablierten Kultur- und Erlebnisangebote in der Innenstadt. Es sei wichtig, die durch das ganze Jahr bestehenden Feste und kulturellen Angebote weiterhin zu stärken und auszubauen. „Die Stadt war und ist bereit, hier auch künftig eine aktive Rolle zu spielen und Ressourcen beizutragen“.
Auch die überregionale Anziehungskraft des Oberzentrums Fulda soll als dritter Punkt erhalten und ausgebaut werden.Die Übernachuntszahlen konnten so in den letzten 20 Jahren verdoppelt werden.
Vierter Punkt: Anbieter regionaler Produkte sollen mit in den Fokus der Wirtschaftsförderung genommen werden. „Wir haben mit dem geplanten RegioMarkt im Steinweg sowie der privaten Initiative Regio Point in der Löherstraße bereits vorbildliche Angebote in der Innenstadt. An diese positiven Erfahrungen und Beispiele gilt es anzuknüpfen, denn ein eigenes Profil in Handel und Gastronomie kann die Attraktivität in der überregionalen Wahrnehmung deutlich steigern“, so die Stadt. Denkbar sei auch, regionale ‚Pop-Up-Stores‘ an ausgewählten Standorten zu unterstützen.
Schließlich appelliert die Stadt auch an die Solidarität und Verantwortung jedes Einzelnen. „In der gegenwärtigen Situation sind alle gesellschaftlichen Akteure dazu aufgefordert zu prüfen, welchen Beitrag sie zum Erhalt und zur Belebung der Innenstädte leisten können.“ Die Stadt habe sich schon früh entschieden, für die Gewerbe- und Grundsteuer die Möglichkeit der Stundung zu schaffen. Zudem wurden Immobilieneigentümer in der Innenstadt ausdrücklich gebeten abzuwägen, ob sie durch Stundungen oder Entgegenkommen bei der Miethöhe einen Beitrag zum Fortbestand der Gastronomie und des Handels leisten können. Daneben biete der Bestell- und Abholservice vieler Händler den Kunden die Möglichkeit, sich lokal zu versorgen.
Hanau zählt in Deutschland zu den in der Stadtplanung und ‑entwicklung fortschrittlichsten Städten. Damit Innenstädte attraktiv bleiben, stehen die Verantwortlichen vor der Herkulesaufgabe, den Leerstand zu füllen und gleichzeitig den Besatz aufzuwerten. Und sie müssen ganz neue Funktionen für die Innenstädte definieren und ermöglichen. Um diese Aufgabe zu bewältigen und die bisherigen Erfolge des Stadtumbaus zu festigen, hat Hanau das Stadtentwicklungsprogramm “Hanau aufLaden” aufgelegt. Es unterstützt mit konkreten Maßnahmen bestehenden Handel und Gastronomie, fördert neue, kreative Geschäftsmodelle und besondere Läden. Und es leitet eine grundsätzliche Neuausrichtung der Innenstadt-Nutzung ein.
Deutsche Innenstadtstrategie: Kein Bedarf an neuen Ladenflächen
Auch der unter dem Dach des Bundesinneneministeriums bestehende Arbeitskreis von Stadtplanern, Stadtverwaltungen und Handelsverbänden, die Deutsche Innenstadtstrategie kommt zu dem Ergebnis:
„Zukunftsperspektiven für Innenstädte liegen in attraktiven und lebendigen Innenstädten durch Nutzungsmischung und hohe Aufenthaltsqualitäten. Für eine nachhaltige Stadtentwicklung und die Innenentwicklung ist es entscheidend, das Nebeneinander der Nutzungen – wie zum Beispiel Handel, Gewerbe, Handwerk, Industrie und Gastronomie, Wohnen, Bildung, Kultur sowie öffentliche Einrichtungen (stadt-) verträglich zu gestalten, den Verkehr konfliktarm weiterzuentwickeln sowie den öffentlichen Raum zu qualifizieren. Zudem sind Innenstädte als wichtige Orte des sozialen Zusammenhalts und der Teilhabe zu stärken. Zu berücksichtigen sind dabei Barrierefreiheit und ‑armut sowie Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel. Eine Vielfalt verträglicher Nutzungen mit gleichzeitigem Anspruch an hohe Gestaltungsqualität, sozialen Ausgleich und kurze Wege bilden zentrale Charakteristika der „Europäischen Stadt“. Diese gilt es zu sichern, zu stärken und wo nötig neu zu schaffen, wie es auch die „Neue Leipzig Charta. Die transformative Kraft der Städte für das Gemeinwohl“ herausstellt.“
Der Einzelhandel könne nicht weiter als alleiniger Garant für stark frequentierte Innenstädte wirken. Stadt brauche Handel und Handel brauche Stadt: Lebendige Innenstädte seien mehr denn je auf ein funktionierendes Gesamtsystem mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Nutzungen angewiesen. „Bei allen Veränderungen werden Innenstädte weiterhin auch ein bedeutender Standortfür den Einzelhandel bleiben. Es ist davon auszugehen, dass sich der verbleibende Einzelhandel an zentralen Standorten und in attraktiven Lagen konzentrieren und seine Angebotsvielfalt in den Innenstadtlagen insgesamt reduzieren wird. Gleichzeitig kehren Lebensmitteleinzelhandel und Nahversorgungsfunktionen verstärkt in die Innenstädte zurück. Diese Entwicklung kann positiv bewertet werden, da sie einerseits die Versorgungsdichte und Erreichbarkeit für die Wohnbevölkerungerhöht, andererseits auch stabilisierende Nutzungen in zentralen Lagen etabliert.“ Und: die Mieten würden langfristig sinken, da auch die Eignetümer sich an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen müssen, um ihre Flächen weiter vermarkten zu können.
Automatenläden als Türöffner für Sonntagsverkäufe?
Von Sonntagsöffnungen ist schlussendlich in keinem einzigen Konzept und keiner Studie die Rede! Unklar ist dennoch, inwieweit die Länder die Ladenöffnungszeiten doch anpassen zu versuchen, wie das Beispiel Hessen zeigt, und im Zuge aufkommender Automatenläden auch Druck auf den Bund ausüben, das Sonntagsverkaufsverbot zu lockern. Und der Lobby-Druck der Handelsverbände steigt stetig.
Peter Kolakowski
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