Vor 220 Jahren vorgestellt — die Batterie
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Zeit zum Aufladen
Heute ist Sonntag, der 7. November
Seine Erfindung läutete eine Revolution ein. Als heute vor genau 220 Jahren Alessandro Volta die erste Batterie der Öffentlichkeit vorstellte, hat niemand geahnt, welche gesellschaftlichen Auswirkungen diese Erfindung nach sich zieht. Etwas “aufzuladen” findet sich heute auch in vielen anderen technischen, wirtschaftlichen, ökolgogischen wie auch sozialen Zusammenhängen. In den modernen Serverfarmen, in die unsere Daten hochgeladen werden. In der kapitalistischen Wirtschaftsweise, die Konsumenten mit oft überflüssigen Bedürfnissen auf- und beläd. In der Umwelt, wo das Klima aufgeheizt — aufgeladen — und unser Wohnstandsmüll irgendwo abgeladen wird. Oder auch in der sozialen Frage, bei der bestimmte Begriffe, je nach Interessenlage, mit Assoziationen aufgeladen werden.
Der Sonntag als Energieräuber
Der Sonntag mit seiner langen Tradition als einziger, weitgehend arbeitsfreier Tag der Woche wird seit längerem bereits vor allem von führenden Wirtschaftsvertretern mit negativen Attributen aufgeladen. Er sei der Totengräber der Innenstädte und des stationären Einzelhandels, weil er verhindere, in Konkurrenz mit dem rund-um-die-Uhr- offenen Onlinegeschäft zu treten. Er zwänge die Leute zum Kaufverzicht und bestimme, wann sie oder er einkaufen will. Die Wirtschaft müsse — frei nach Marx — laufen und das ununterbochen, ohne Rücksicht auf das “Humankapital”. Der Sonntag sei deshalb nichts anderes als pure Ideologie, von rückwärtsgewandten Gewerkschaftlern, Kirchenleuten und Sozialromantikern mit juristisch-brachialer Gewalt durchgedrückt. Sogar SPD-Funktionäre betonen inzwischen, dass selbst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Sonntagsschutz nicht in Stein gemeißelt sei.
Wozu noch Traditionen?
Und natürlich gibt es ein Bedürfnis auch der Bürger, am Sonntag einzukaufen, allein oder mit der Familien bummeln zu gehen und die Genüsse des Konsums auszukosten. Während aber der Sonntag als Feiertag und der sonntägliche Kirchgang seine Deutungshoheit bei den meisten verloren hat und viele auch den beiden großen Kirchen den Rücken kehren, bleiben andere bewährte Traditionen, die mit dem Sonntag verknüpft sind, gleichwohl weiter im kollektiven Gedächtnis haften — noch: Die Gemeinsamkeit, das bewußte Alleinsein, die Stille und Ruhe, das sich konzentrieren (müssen) auf Wesentliches, Zeitsouveränität erleben, seinen Hobbys nachgehen, Bilanz zu ziehen, was die vergangene Woche gebracht hat und Pläne zu schmieden für Neues. Auch der Online-Einkauf spielt am Sonntag zweifellos eine Rolle; niemand würde sich jedoch anmaßen zu behaupten, im online-shoppen liege das einzige, sonntägliche Glück. Genau mit dieser neoliberalen Eigenschaft versuchen führende Vertreter des Handels, den Sonntag jetzt aufzuladen und kritisieren Befürworter des freien Sonntags als Diktatoren.
Tradition heißt übersetzt: die Überlieferung und Weitergabe von Überzeugungen, Glaubensvorstellungen und bewährten Handlungsempfehlungen. Gerade im Zuge der Nachhaltigkeits- und Achtsamkeitsdebatte kommt Traditionen eine neue, bedeutende Rolle zu: Freundschaften pflegen, sich durch weniger Konsum der noch recht jungen und doch uralten Gewissheit zu erinnern, Natur zu bewahren und respektvoll mit ihren Ressourcen umzugehen, durch Zusammenkünfte wie Feiern, Geburtstage, Jubiläen, dem Sonntagsbrunch oder ‑kaffee das Gemeinsame erleben und das Trennende auch als Bereicherung empfinden. Kurzum: Zeit haben für andere und sich.
Wenigstens ein bißchen?
Sind vier offene Sonntage im Jahr denn wirklich so schlimm, der Untergang des Abendlandes? Nein gar nicht! Prekär und nicht nur für am Sonntag Arbeitende wird es dann, wenn der Konsum andere sonntägliche Erlebnisse subsitituieren will und soll und wirklich lebenswichtige Bedürfnisse, Rituale und Traditionen verdrängt und verdrängen soll, die die Gesellschaft im Kern seit Urzeiten zusammenhalten. Was die großen Shopping-Center als Befürworter einer unbegrenzten Sonntagsöffnung im Jahr unter sozialem Zusammenhalt verstehen? “Erlebniswelten” schaffen, die die Konsumenten so lange wie möglich in den Einkaufstempeln halten, nach dem Motto: Ich — alles – gleich. Die einzige „Tradition“, der die Wirtschaft hier folgt, läßt sich mit einem Wort zusammenfassen: Mehr!
Weniger oder mehr?
Unermüdlich fordern die Wirtschaftsverbände von der Politik daher, mehr verkaufsoffene Sonntage, als die gesetzlich schon jetzt zuzulassen, letztens in einer Befragung durch den Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Die Unternehmen glauben zu wissen, daß der Konsument oft als träge eingeschätzt wird, auf Traditionen pfeift und es am liebsten „satt und sauber“ hat. Wirklich? Die Freigabe des Sonntags als Konsum- und Arbeitstag hätte gravierende negative, gesellschaftspolitische Auswirkungen, dessen sind sich auch die allermeisten Bürger weiter bewußt (“Endlich Wochenende!”). Demonstrationen aufgebrachter Konsumenten, den Sonntag „für alles zu öffnen“ sind bislang jedenfalls nicht bekannt. Denn: Ohne freien Sonntag gäbe es nie wieder ein freies Wochenende zum Aufladen.
Einkaufen immer und überall?
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