Viele Geschäfte — kaum Menschen
Foto: BVDW
Online löst Probleme nur zum Schein
Handels- und Digitalverband legen Papier zur Belebung der Innenstädte vor – und vergessen dabei eines
10.10.2021- Der Handelsverband Deutschland (HDE) hat gemeinsam mit dem Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e. V. eine Stellungnahme veröffentlicht, wie Innenstädte als Orte der Begegnung und bedeutender Wirtschaftsfaktor attraktiver gemacht werden können. Die Verbände fordern ein Maßnahmenpaket aus steuerlichen Entlastungen für Investitionen, gezielten Förderungen und einer entsprechenden digitalen Infrastruktur sowie einen Dialog mit der Politik.
„Damit der Mittelstand in unseren Innenstädten in dieser Krise nicht unverschuldet den Anschluss verliert, braucht es ein staatliches Förderprogramm, Vernetzung der betroffenen Innenstadtakteure und funktionierende Infrastruktur. Ansonsten drohen verödete Stadtzentren“ (HDE)
Stationär und digital gehören zusammen
Beide Verbände seien davon überzeugt, dass die technologische Entwicklung im stationären Handel sowie die aktive Nutzung digitaler Mittel zur Belebung der deutschen Innenstädte beitragen und die Folgen des pandemiebedingten Stillstands bewältigen könnten. „Wir müssen aufhören, Online-Handel und stationären Handel als Konkurrenten zu sehen. Vielmehr können wir den stationären Handel dadurch stärken, indem wir ihn digital ertüchtigen und den Online- mit dem Offline-Einkauf verzahnen“, so Marco Junk, Geschäftsführer des BVDW.
Die größte Herausforderung für den stationären Handel sei nach wie vor die stark rückläufige Einkaufsfrequenz. „Der Einzelhandel als Kernbranche vitaler Innenstädte steht in Folge der Corona-Krise insbesondere im Bekleidungsbereich in vielen Fällen vor der Insolvenz. Am Ende der Krise könnten bis zu 50.000 Geschäfte vom Markt verschwunden sein. Das hat Auswirkungen auf ganze Innenstädte“, meint Stephan Tromp, stellvertretender HDE-Hauptgeschäftsführer. In der Folge sei abzusehen, dass etliche Handelsunternehmen die Krise nicht überstehen würden. Die Dynamik dieser Veränderungen in der Versorgungsqualität erfordere das rasche und koordinierte Handeln aller Innenstadtakteure.
Online soll auch Konsum vor Ort antreiben
HDE und BVDW sind der Auffassung, dass eine sinnvolle Durchdringung technologischer Innovationen die Händler entlaste, Kunden ein Einkaufserlebnis biete und den Standort Innenstadt attraktiver mache. Deshalb fordern BVDW und HDE Maßnahmen, die Investitionen in Innovationen und digitale Grundausstattung wie Kassensysteme, Warenwirtschaftssysteme und Systeme zur Abbildung lokaler und stationärer Verfügbarkeit von Waren ermöglichen. Maßnahmenpakete aus Steuervergünstigungen, Abschreibungen oder Zuschüssen stärken lokalen Handel sowie den aufstrebenden Technologiestandort Deutschland.
Innenstadtödnis haben Handel und Städte selbst verschuldet
Immerhin setzen sich die Verbände auch für einen stetigen, offenen und konstruktiven Austausch zwischen Händlern, Tech-Unternehmen, Startups, Verbänden, Politik und Verwaltung ein, um lösungsorientiert die Problemlage zu analysieren und schlagen die Einführung eines „Retail Tech Roundtables“ mit den zuständigen Ministerien vor, der quartalsweise entsprechende Stakeholder zur gemeinsamen Arbeit und gegenseitigen Vernetzung zusammenbringe.
Denn: auch wenn es die Lobbyverbände nicht zugeben mögen — unattraktive Innenstädte, die sich nur als Fußgängerzonen mit Ladenzeilen definieren, haben sowohl Wirtschaft als auch Stadtverwaltungen allein verschuldet. Selbst wirtschaftsnahe Verbände wie die IHK konstatieren mittlerweile unverblümt, dass die Ära der klassischen Fußgängerzonen vorbei ist und der Handel sich bereits jetzt einem gravierenden Schrumpfungsprozess in den Innenstädten unterzieht. Gleichzeitig haben die Städte die Einkaufszonen in den vergangenen Jahrzehnten architektonisch und sozialpolitisch völlig vernachlässigt und heruntergewirtschaftet, die nach wie vor geprägt sind von stadtluftfestem und ökologisch totem Cotoneastergestrüpp in Betonkübeln und — wenn überhaupt — einfallsloser Möbelierung. Schließlich sollen die Konsumenten konsumieren — und nicht verweilen. Aufenthaltsqualität wird mittlerweile von den großen Outlet- und Einkaufszentren am Stadtrand definiert und okkupiert, die derzeit am lautesten nach verkaufsoffenen Sonntagen rufen.
Wann wachen die Stadtplaner in den Rathäusern auf?
Solange die Stadträte nicht begriffen haben, dass Rezepte gegen verödende Innenstädte nicht in Sonn- und Feiertagsöffnungen liegen, sondern in bezahlbaren Mieten — auch für Wohnungen — und architektonisch ansprechender Gestaltung mit einer sozial gesunden Durchmischung aus Wohnen, Konsum, Kultur, Spaß und Spiel und die es ermöglichen, nicht nur einzukaufen, sondern auch anderen Bedürfnissen wie Behördenangelegenheiten (an elektronischen Terminals), Beratung (für Verbraucher) oder Kinderbetreuung einen Platz geben, solange wird das Sterben der Innenstadt weitergehen – allen digitalen Gedankenspielen und dem Schrei nach Sonntagsöffnungen zum Trotz.
Marco Junk — BVDW Geschäftsführer Foto: BVDW
HDE-BVDW-Positionspapier_Digitalisierung_der_Innenstadt
Weitere Beiträge und Nachrichten
Hier finden Sie Ihre Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner bei Kirchen, Gewerkschaften und Verbänden.
Wir informieren Sie regelmäßig über Aktionen, Kampagnen und Meinungen zum Thema Sontagsschutz. Hier finden Sie unsere letzten Pressemeldungen sowie weiterführende Materialien zum Download.