Foto: OVG Münster

 

 

Sonntags- und Arbeitsruhe gelten auch in Wuppertal

Trotz massiver Warnungen wollten sich Rat und Verwaltung über Recht und Gesetz hinwegsetzen — Verdi-Klage erfolgreich

 

Sonn­tags­al­lianz 03.12.21 — In seltener Klar­heit und Ausführ­lich­keit hat das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Münster in einer Eilent­schei­dung dem Sonn­tags­ver­kauf am 5.Dezember in Wuppertal-Elber­feld einen Riegel vorgeschoben.

Mit zwei verkaufs­of­fenen Sonn­tagen in den Wupper­taler Stadteilen Elber­feld und Barmen wollten Stadtrat und Verwal­tung die Bürger am Sonntag in die Läden locken. Den hierfür benö­tigten Anlass­bezug sah die Stadt in den derzeit statt­fin­denen Weih­nachts­märkten. Während der Sonn­tags­ver­kauf in Barmen auch von der Gewerk­schaft verdi nicht bean­standet wurde, hatte die Dienst­leis­tungs­ge­werk­schaft gegen die Aufhe­bung des Verkaufs­ver­bots in Elber­feld geklagt — und bekam in einer Eilent­schei­dung recht.

Massive Kritik des OVG Münster an Stadtverwaltung

Die Insti­tu­tion des Sonn- und Feier­tags ist unmit­telbar durch die Verfas­sung garan­tiert, die Art und das Ausmaß des Schutzes bedürfen aber einer gesetz­li­chen Ausgestaltung. Verfas­sungs­recht­lich geschützt ist der allge­mein wahr­nehm­bare Charakter eines jeden Sonn- und Feier­tags als grund­sätz­lich für alle verbind­li­cher Tag der Arbeits­ruhe. Eine Frei­ga­be­re­ge­lung muss nach stän­diger gefes­tigter höchst­rich­ter­li­cher Rechtsprechung zur Wahrung des verfas­sungs­recht­lich gefor­derten Mindest­ni­veaus des Sonntagsschutzes die Sonn- und Feier­tage als Tage der Arbeits­ruhe zur Regel erheben. Ausnahmen darf er nur aus zurei­chendem Sach­grund zur Wahrung gleich- oder höherwertiger Rechts­güter zulassen; das bloß wirt­schaft­liche Umsatz­in­ter­esse der Verkaufsstelleninhaber und das alltäg­liche Erwerbs­in­ter­esse poten­ti­eller Kunden genügen dazu nicht“, entschied das OVG Münster.

Provinz­posse hat weit­rei­chende Folgen auch für andere Städte

Unlängst erst war auch die Stadt Lever­kusen an schlechter Vorbe­rei­tung eines verkaufs­of­fenen Sonn­tags geschei­tert. „Um das verfas­sungs­recht­lich gefor­derte Regel-Ausnahme-Verhältnis zu wahren, muss die im Zusam­men­hang mit der Laden­öff­nung stehende Veran­stal­tung selbst einen beträcht­li­chen Besu­cher­strom auslösen, entschied das OVG Münster. „Ferner müssen Sonn­tags­öff­nungen wegen einer Veran­stal­tung in der Regel auf deren räumliches Umfeld beschränkt werden, nämlich auf den Bereich, der von der Ausstrahlungswirkung der jewei­ligen Veran­stal­tung erfasst wird und in dem die Veran­stal­tung das öffent­liche Bild des betref­fenden Sonn­tags prägt. Die prägende Wirkung muss dabei von der Veran­stal­tung selbst ausgehen. Die damit verbun­dene Laden­öff­nung entfaltet nur dann eine ledig­lich geringe prägende Wirkung, wenn sie nach den gesamten Umständen als bloßer Annex zur anlass­ge­benden Veran­stal­tung erscheint. Die in Rede stehenden Sonn­tags­öff­nung am 5.12.2021 ist schon deshalb unwirksam, weil es an einer schlüs­sigen und nach­voll­zieh­baren Prognose fehlt, die Zahl der allein vom Elbers­felder Weih­nachts­markt selbst ange­zo­genen Besu­cher werde größer sein als die Zahl derje­nigen, die allein ‒ ohne die Veran­stal­tung ‒ wegen einer Ladenöffnung kämen.“ Genau das aber hatte die Wupper­taler Verwal­tung ange­führt, den Nach­weis blieb sie schuldig.

Weih­nachts­märkte können Anlass für Sonn­tags­öff­nungen sein, wenn…

Zwar kann ein Weih­nachts­markt durchaus ein recht­fer­ti­gender Anlass für eine ausnahms­weise zuläs­sige Laden­öff­nung sein, zumal Weih­nachts­märkte regelmäßig auch ohne beglei­tende Laden­öff­nung statt­finden und viele Besu­cher anziehen. Hieraus ergibt sich – auch ange­sichts der von der Antrag­stel­lerin vorge­legten Besucherzahlen – aber nicht die offen­sicht­liche Ergeb­nis­rich­tig­keit der Verord­nung“, urteilte das Gericht. „Allein mit der Annahme, bei dem Weih­nacht­markt in der Innen­stadt von Wuppertal-Elber­feld handele es sich um eine seit 20 Jahren statt­fin­dende, etablierte und publi­kums­starke Tradi­ti­ons­ver­an­stal­tung, bei der davon auszu­gehen sei, dass diese mindes­tens im vergleichbaren Rahmen wie in den voran­ge­gan­genen Jahren orga­ni­siert und durchgeführt werde und somit selbst einen beträcht­li­chen Besu­cher­strom anziehe, ist der Verordnungsgeber nicht einmal davon ausge­gangen, die Zahl der von der Veran­stal­tung selbst ange­zo­genen Besu­cher über­wiege die Zahl der von der Verkaufs­stel­len­öff­nung ange­zo­genen Besu­cher. Dies ergibt sich auch nicht aus seiner Fest­stel­lung, die Veranstaltungen seien nach Charakter, Größe und Zuschnitt geeignet, den öffent­li­chen Charakter des Tages in dem von der Laden­öff­nung umfassten Bereich maßgeb­lich zu prägen und so die vorge­se­hene Ausnahme von der Regel der Sonn­tags­ruhe zu rechtfertigen. Es fehlt selbst eine grobe Abschät­zung der zu erwar­tenden Besu­cher­zahlen auf der Grund­lage der für die Gemeinde verfüg­baren Daten. Die Sitzungs­un­ter­lagen sind inso­weit uner­giebig. Es lässt sich deshalb auch bei Berück­sich­ti­gung der sonstigen Umstände der Beschluss­fas­sung am 16.11.2021 nicht fest­stellen, ob dem Erlass der Öffnungs­re­ge­lung eine schlüs­sige und vertret­bare Besu­cher­pro­gnose zugrunde lag.

SPD-Frak­tion sieht sich bestätigt

Die Verwal­tung hat sich in Sachen Sonn­tags­öff­nung in Elber­feld nicht rechts­si­cher vorbe­reitet,“ resü­mieren Klaus Jürgen Reese und Dilek Engin, die Frak­ti­ons­vor­sit­zenden der SPD-Rats­frak­tion gegen­über der Sonn­tags­al­lianz-Redak­tion. Reese ist gleich­zeitig auch Vorsit­zender des Ausschusses für Stadt­ent­wick­lung und Bauen. „Die Verwal­tungs­s­druck­sache hat keine ordent­liche Darstel­lung der Anlass­be­zo­gen­heit wieder­ge­geben. Die Frak­tion hat in der Rats­sit­zung daher gegen die Verwal­tungs­druck­sache gestimmt und auf die unzu­rei­chende Vorbe­rei­tung seitens der Verwal­tung aufmerksam gemacht“. Die SPD-Frak­ti­ons­vor­sit­zenden betonten gleich­zeitig den verfa­sungs­recht­lich garan­tierten hohen Wert der Arbeits- und Sonntagsruhe.

Arbeit­neh­mer­schutz geht vor

Nach einer höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung ist klar, dass durch die Geschäfts­öff­nung der Kommerz nicht im Vorder­grund stehen darf”, erklärt die stell­ver­tre­tende Geschäfts­füh­rerin des ver.di Bezirks Düssel-Rhein-Wupper, Silke Iffländer gegen­über der Sonn­tags­al­lianz. “Genau das ist aber bei der Laden­öff­nung in Wuppertal-Elber­feld der Fall. Zum Weih­nachts­markt gehen deut­lich weniger Menschen als in die Geschäfte. Deswegen wird auch der VOS in Wuppertal-Barmen nicht beklagt, da dort das Einzel­han­dels­an­gebot deut­lich redu­zierter ist. In dieser schweren Zeit der Pandemie müssen die Beschäf­tigten des Einzel­han­dels auch mal einen Tag Ruhe haben-gerade in dem Weih­nachts­trubel, den es trotz der Pandemie in unseren Innen­städten gibt.”  Ange­sichts der langen Öffnungs­zeiten habe jeder Zeit genug, an einem anderen Tag die Weih­nachts­ge­schenke einzu­kaufen. Der Einzel­handel benö­tige Konzepte, um sich neu aufzu­stellen. Die Diskus­sion um den VOS lenke von den wirk­li­chen Problemen des Einzel­han­dels und der Innen­städte ab, konsta­tiert Iffländer. Das OVG habe ausdrück­lich darauf hinge­wiesen, dass ver.di im Rahmen der Anhö­rung bereits auf die entschei­denden Punkte hinge­wiesen hat. Dass die Verwal­tungs­spitze in Wuppertal es wider besseren Wissens nicht für nötig erachtet habe, auf die Argu­mente von ver.di einzu­gehen, ärgert Iffländer besonders.

Trick­serei der Verwaltung?

Obwohl die Mehr­heit des Stadt­rates aus CDU und FDP bereits am 16.11.2021 für die Sonn­tags­öff­nungen in Elber­feld und Barmen gestimmt hatte, wurde die Entschei­dung erst am 02.12. 2021 von der Verwal­tung veröf­fent­licht. Offenbar wollte das Ordnungsamt mit der kurz­fris­tigen Bekannt­gabe drei Tage vor dem besagten Termin vermeiden, dass der Sonn­tags­ver­kauf höchst­rich­ter­lich gekippt werden könnte. Das Pikante daran: bereits seit Ende August lagen der Stadt die  Stel­lung­nahme und die recht­li­chen Bedenken des Verdi-Bezirks Düssel-Rhein-Wupper vor.

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